„Es lag da schon eine gewisse Unsicherheit oder Unentschiedenheit vor“, hielt Carl Zuckmayer 1943 zu G.W. Pabst fest. Den seinerzeit auf der ganzen Welt bekannten Regisseur nahm der zu der Zeit etwas weniger bekannte Autor als „Sonderfall“ in jenen „Geheimreport“ auf, den Zuckmayer für den amerikanischen Auslandsgeheimdienst erstellte.
Das Besondere an Pabsts Fall war, dass er als Vertreter der Neuen Sachlichkeit & eines sozial engagierten Kinos eigentlich nichts mit den Filmvorstellungen der Nationalsozialisten zu schaffen hatte und doch zu den nationalsozialistischen Filmschaffenden gehörte. Wie das Paradox zustande kam, ist Gegenstand des jüngsten Roman Daniel Kehlmann. In „Lichtspiel“ verdichtet der Schriftsteller die deutsche Geschichte zu einer persönlichen Geschichte, die über den Einzelfall hinausweist.
Nach einem Dreh in Frankreich kehrte Papst 1933 nicht nach Deutschland zurück, sondern nahm ein Angebot aus den Vereinigten Staaten von Amerika an. Der Film fiel durch, der Emigrant stand vor dem Aus. Die Vision, die sich abzeichnende Völkerschaft auf einem Kreuzfahrtschiff vorwegzunehmen, fand keine Freunde. Sprich Produzenten.
Frustriert kehrte Pabst 1939 nach Europa zurück, wo er auch seiner alten und kranken Mutter einen Besuch abstattete. In Österreich wurde er vom Kriegsausbruch überrascht. Mit Frau und Kind saß der Emigrant, in der Ostmark fest, wie seine Heimat seit dem Anschluss hieß. Abgeschnitten von jeder Aussicht in seinem Metier wieder etwas zu tun. Die Filmwirtschaft war gleichgeschaltet und dem Reichsminister für Volksaufklärung und Propaganda unterstellte. Joseph Goebbels diktierte die Bedingungen für die, die mitmachen wollten.
Mitmachen oder Nichtstun?, ist die Gretchenfrage vor der nicht nur GW Pabst stand. Abgesehen von den Nationalsozialisten der ersten Stunde mussten sie sich alle Deutsche stellen. Ob Regisseur oder Schauspieler, Unternehmer oder Arbeiter. So gesehen ist der Roman die brillante Darstellung des Dilemmas, das uns heute so einfach zu lösen erscheint. Mitmachen oder nicht?
Die Brillanz bezieht der Roman aus der Möglichkeit, die historische Wirklichkeit den aktuellen Vorstellungen anzupassen. Den Wünschen des Publikums & denen des Autors. „Erzählen bedeutet einen Bogen zu spannen, wo zunächst keiner ist“, wie es Daniel Kehlmann in einem seiner Essays formuliert hat. Bewusst stellt er sich in die Reihe jener Autoren, die nicht nur Geschichten, sondern Geschichte erzählten wollen. Zu Recht. Denn nichts ist so spannend wie Geschichte. Geschichten von Menschen für Menschen wie wir den Anspruch von StoryDox f0rmuliert haben.
Wir Historiker sind jedoch der Wahrheit verpflichtet. Wir schreiben quellengestützt & erzählen keine Märchen. Vermutungen werden als solche formuliert und Lücken werden nicht kaschiert. Diese Anforderungen machen das historische Erzählen anspruchsvoller, aber auch spannender. Denn nichts ist so spannend wie gelebte Geschichte. Diese Geschichten haben Haken; Unsicherheiten und Unentschiedenheiten wie Carl Zuckmayer notierte. Das ist das Leben. Eben kein Roman, den ein Autor drehen und wenden kann wie er will.