Dass so mancher Bundesbürger gegen die massive Einschränkung der Freiheitsrechte aufgrund der Corona-Pandemie am Wochenende auf die Straße ging, ist eigentlich ein gutes Zeichen. Es entkräftet das unüberhörbare Gerede von einer „Diktatur“, in der gerade solches Demonstrieren nicht so ohne weiteres möglich wäre. Gleichwohl ist auch in demokratischen Gesellschaften die „Gefahr des Despotismus“ nicht zu unterschätzen, wie schon Alexis de Tocqueville in seiner nach wie vor lesenswerten Analyse „Über die Demokratie in Amerika“ festgehalten hat. Zur „Gefahr“ werden nach Ansicht des Analytikers aus dem 19. Jahrhunderts nicht die Schwäche der demokratischen Institutionen oder der gerne unterstellte Machthunger der Politiker, sondern das Bedürfnis der Menschen, „geführt zu werden“. Jeder Einzelne lasse sich in einer Demokratie „willig fesseln“, weil über die gewählte Regierung gleichsam „das Volk selbst das Ende der Kette“ hält. Diese Art der freiwilligen „Unfreiheit“ ist nicht ungefährlich. Sie bringt die Betroffenen zwar nicht zur Verzweiflung, aber dahin, „auf den Gebrauch ihres Willens zu verzichten. Sie trübt langsam ihren Verstand und entkräftet ihre Seele“ bis die Menschen nach und nach die „Fähigkeit einbüßen, selbstständig zu denken, zu fühlen und zu handeln“. Zumindest ihre Handlungsbereitschaft haben die Demonstranten vom Wochenende unter Beweis gestellt. Die an den Tag gelegte Aggressivität und die zum Ausdruck gebrachten Ansichten lassen jedoch an den anderen Fähigkeiten zweifeln, die auch den Menschen ausmachen. (Abb.: akg-images)