Die Quellen haben immer recht. Wenn sie einer kritischen Überprüfung standhalten, können sie Geschichte schreiben. Die unter Historikern verbreitete Vorstellung besagt, dass die Quellen ein Vetorecht (R. Koselleck) gegenüber jenen Darstellungen und Deutungen des Historikers haben, die sie, die Quellen, als falsch oder unzulässig entlarven.
Eine Vermutung
Vor 300 Jahren brannte mein Heimatort. Ich hatte allen Grund zur Annahme, dass die Witterung – ein heißer, trockener Sommer mit einer längeren Trockenperiode, die Ursache war. Es sind zwar keine verlässlichen Temperatur- und Wetteraufzeichnungen aus der Zeit bekannt, aber nach dem Ende der kleinen Eiszeit Anfang des 18. Jahrhunderts konnte von einer Erwärmung und mit dieser von einem witterungsbedingten Brand ausgegangen werden.
Eine Quelle
Angesichts der hochsommerlichen Temperaturen schrieb ich auf diesem Stand einen Post zu dem Brand des Jahres 1725. Abschließend überprüfte ich meine Aussagen und machte – in einer Archivdatenbank, noch nicht befragt hatte – einen überraschenden Fund: 1725 änderten Graf Casimir von Wartenberg, der die Herrschaft über Mettenheim 1709 erworben hatte, und Hofratspräsidenten von Üxküll, der in dem Ort einen Neben-Besitz hatte, ihre „Kaufabrede“ vom 16. März, weil das Dorf und auch „das Kaufobjekt durch Brand zerstört wurde“. Die Urkunde ist auf den 6. April 1725, also wenige Tage nach Ostern, datiert.
Ihre Bewertung
Richtig? Anzunehmen bei einer Originalurkunde aus dem 18. Jahrhundert. Aus der Entfernung ist sie nicht als Fälschung zu erkennen. Auch inhaltlich spricht alles für die Richtigkeit die Beteiligten; den Wartenbergs gehörte der Ort, eine ausgestorbene Linie der Üxkülls war in einem Nachbarort begütert.
Lieber Überrest
Außerdem ist die Quelle ein Überrest. So bezeichnen Historiker den Teil der auf uns gekommenen Überlieferung, der nicht für die Nachwelt erschaffen worden ist. Die infrage stehende Urkunde beglaubigt ein damaliges Rechtsgeschäft. Nicht mehr und nicht weniger. Die in der Regel informativeren Traditionsquellen wurden dagegen zur Unterrichtung der Nachwelt geschaffen. Schön, aber unzuverlässig, weil die Quellen ein Bild abgeben wie es der Autor zu sehen wünscht.
als Tradition
Ego-Dokumente sind ein beredtes Beispiel dieser Quellengattung. Nur in Ausnahmenfällen reflektieren die Autoren und/oder ihre Ghostwriter ihr Tun. In der Regel stellen sie sich und ihr Ego so dar wie sie gesehen werden möchten. Die Darstellungen haben infolgedessen wenig bis nichts mit der Wirklichkeit zu tun und werden von Historikern nur mit spitzen Fingern angefasst.
Die Folgen
Die aufgefundene Urkunde und ihre Datierung machten mir und meinem Post einen Strich durch die Rechnung. Unwahrscheinlich, dass es so früh im Jahr so heiß und trocken war. Dass die Witterung den Ortsbrand 1725 verursacht hat, schied nach dem Quellenfund aus. Es muss also eher der alltägliche Umgang mit offenem Feuer, beim Kochen oder Backen, beim Schmieden oder Flammen gewesen. Brände konnten im 18. Jahrhundert viele Ursachen haben, auch Blitz und Brandstiftung, und sie wurden durch die Bauweise (Holz), die Bebauung (eng) und den unzureichenden Brandschutz noch beschleunigt.
für Mettenheim und die Schäfers
Vom mittelalterlichen Mettenheim blieb – bis auf das Rathaus (Abbildung links) – nicht viel übrig. Selbst die leiningsche Burg wurde ein Raub der Flammen, sodass der Graf sich zu einem Neubau entschloss. 1726 wurde der Grundstein gelegt. Im Zuge des Schlossbaues dürften die Schäfers sich dem Handwerk zugewandt haben. Sie waren mit den Wartenberger aus dem Pfälzischen an den Rhein gekommen. Binnenmigranten. 1708/09 war ein harter Winter. Viele Pfälzer gingen in die USA. Die Schäfers nicht. Über die Gründe schweigen die Quellen. Noch. (cws)
Zukunft braucht Herkunft – oder: wo StoryDox seine Wurzeln hat