Von Panzern und Bomben oder dem Umgang mit der Vergangenheit

Wieder einmal stürzt die Jugend Denkmäler der Alten. Mit den Denkmalstürzen werden Einschätzungen ausgedrückt, die zur Zeit gängig sind. Jede Generation muss sich aufs Neue über ihre Vergangenheit verständigen. Das ist nicht einfach. Kommt die Verständigung zu einem Abschluss, findet die vereinbarte Vergangenheit Eingang in die Geschichtsbücher, werden Denkmäler errichtet. Die materialisierte Geschichtsauffassung muss jedoch nicht das Ergebnis eines gesellschaftlichen Diskussionsprozesses sein, sondern kann auch von Staats wegen vorgeschrieben werden. Das Instrument der Geschichtspolitik ist vor allem in nicht-demokratischen organisierten Staaten beliebt.
So ließ in den dreißiger Jahren des 20. Jahrhunderts die italienische Regierung in Bruneck ein Gebirgsjäger-Denkmal errichteten, das vordergründig den Alpini galt, die in Afrika für Italien gekämpft hatten. Die mit der steingewordenen Würdigung konfrontierten Südtiroler – kaum einer von ihnen war an dem Krieg beteiligt – sahen in dem Denkmal jedoch den italienischen Willen manifestiert, ihre deutschsprachige Heimat gegen österreichische oder gar deutsche Ansprüche zu behaupten. Die nach dem Ersten Weltkrieg verfügte Angliederung des südlich des Alpenhauptkamms gelegenen Teil Tirols an Italien war unter den Einheimischen alles andere als beliebt, nicht wenige wollten „Heim ins Reich“ wie das damals hieß. Als das „Dritte Reich“ schließlich nach dem Abfall des faschistischen Italiens im Herbst 1943 von Südtirol Besitz ergriff, haben (deutsche) Panzer das missliebige Gebirgsjäger-Denkmal zum Einsturz gebracht. Wie so oft in der Geschichte, endete mit dem Denkmalsturz die Geschichte nicht, im Gegenteil. Schließlich kämpften im Zweiten Weltkrieg auch die Alpini an allen Fronten: mit den Deutschen, gegen die Deutschen und gegeneinander… So ist Geschichte: kompliziert, ambivalent, widersprüchlich.
Nach 1945 machte sich die Vertretung des italienischen Zentralstaates in Südtirol den Wunsch der Alpini-Veteranen nach einem Gedenkort zunutze, um wieder ein Gebirgsjäger-Denkmal zu errichten, das erneut den italienischen Anspruch auf das nach Autonomie strebende deutschsprachige Südtirol unterstrich: Entschlossen schien der Ende der fünfziger Jahre errichtete Alpino gen Norden zu marschieren, Vetta d’Italia, den nördlichsten Punkt der Republik, fest im Blick. Die Marschrichtung war natürlich den Südtirolern ein Dorn im Auge, die eine Wiedervereinigung mit Österreich erzwingen wollten. Neben der lokalen Infrastruktur geriet so der im Volksmund „Wastl“ genannte Soldat ins Visier separatistischer Attentäter, die im Dezember 1966 schließlich Erfolg hatten und den in Stein gemeißelten Herrschaftsanspruch zertrümmerten. Nach dem Anschlag kehrte „Wastl“ postwendend auf seinen Sockel zurück. Die Ende der sechziger Jahre eingeweihte Kopie hatte relativ lange Bestand, solange, wie die Südtiroler ihren Frieden mit ihrer Zugehörigkeit zu Italien gemacht hatten. Als jedoch wirtschaftlich schwierigere und politisch unruhigere Zeiten anbrachen, wandelte sich „Wastl“ wieder zum Streit- und Anschlagsobjekt.
Seit der letzten Zerstörung Ende der siebziger Jahre sitzt nur noch seine strahlend-weiße Büste auf dem gemauerten Sockel (Bild), der inzwischen eine ganze Reihe von Plaketten trägt. Neben der eigentlichen Widmung wurde – nach langem Hin und Her – eine ausführliche Erklärung des Denkmals angebracht. So kommt die Geschichte zu ihrem Recht. Sie kann nicht ungeschehen gemacht werden. Zum Geschehenen kann die Gegenwart nur Stellung beziehen. Das einfache Abräumen von Denkmälern ist auch eine Stellungnahme. Diese Art der Schadensabwicklung kaschiert jedoch nur, was reflektiert gehört. Nur in der Reflexion erhält die Geschichte einen neuen Gehalt, kann auch die Gegenwart Lehren aus dem Gestern ziehen. Für Morgen. Das ist eine gesellschaftliche Herausforderung, die Aufgabe jeder Generation.