Von den Erinnerungsorten zu dem Erinnerungsort

Wenn eine Nation nicht nur eine praktische Lebens-, sondern notwendigerweise auch eine überdimensionierte Erinnerungsgemeinschaft ist, dann hat das kollektive Gedenken nationale, zentrale Bedeutung. Insofern ist es konsequent, dass die Staatsministerin für Kultur und Medien erinnerungspolitisch aktiv ist und Monika Grütters nun auch eine „Dokumentations-, Bildungs- und Erinnerungsstätte zur Geschichte und Aufarbeitung des Zweiten Weltkrieges und der nationalsozialistischen Besatzungsherrschaft“ auf den Weg bringt. Unter der Leitung des Deutschen Historischen Museums (Berlin) soll eine „Einrichtung“ aufgebaut werden, die vor allem auch die Geschichte der deutschen Besatzung erstmals in Deutschland in ihrer „gesamten Breite“ zeigen soll.
Zeit wird’s. 75 Jahre nach Ende des Zweiten Weltkrieges wird die Erinnerung an diesen von den über 100.000 Krieger- und Ehrenmälern geprägt, die überall in Deutschland zu finden sind. Wie zum Beispiel auf dem Mariaberg bei Kempten (Bild). Zumeist in der Zwischenkriegszeit entstanden, erinnern diese Denkmäler noch heute an die „Opfer“ beider Weltkriege und geben die Namen der Gefallenen und Vermissten wieder, die aus der betreffenden Gemeinde, des jeweiligen Vereins oder jener Einrichtung gekommen sind, die das jeweilige Denkmal in Auftrag gegeben hat. Hin und wieder werden auf den Mahnmalen auch Ortsangaben gemacht oder Jahreszahlen genannt. Erklärungen zur Geschichte der Kriege, der deutschen Besatzungsherrschaft oder ähnlichem finden sich in der Regel nicht.
Diese Gestaltung schärft die „historische Urteilskraft“ nicht, die der Präsident des Deutschen Historischen Museums im Auge hat. Bis Ende des Jahres sollen Raphael Gross und seine Mitarbeiter einen Realisierungsvorschlag entwickeln, der mit deutschen und internationalen Wissenschaftlern sowie Vertretern bestehender Erinnerungsorte abgestimmt werden soll. Eine Beteiligung der Bevölkerung ist nicht vorgesehen. Sie darf die nationale Erinnerungsstätte annehmen und sich über die Geschichte belehren lassen. Ist das Procedere ein dem 21. Jahrhundert, einer demokratischen Gesellschaft angemessene Format?
Könnte nicht über die sozialen Medien ein nationaler Diskussionsprozess in Gang gesetzt werden, der zum Beispiel den Standort für den entsprechenden Erinnerungsort sucht. Der kann nicht irgendwo im nirgendwo sein. Eine Stätte der deutschen Militärgeschichte wäre ideal. Eine Kaserne, die eine lange Tradition hat wie die an der Berliner Finckenstein Allee zum Beispiel. Alternativ böte sich ein Standort auf einem (ehemaligen) Truppenübungsplatz an: Hier haben die Soldaten ihr Handwerk gelernt, Stellungen bezogen, Angriffe vorbereitet, den Kampf geübt, mit blanker Waffe und scharfer Munition. Zum Teil seit dem 19. Jahrhundert wie in Jüterbog und Munster, Senne oder Grafenwöhr. Diese Erinnerungsorte haben das historische Potenzial, um der Erinnerungsort zu werden, den die Erinnerung an den Zweiten Weltkrieg und die nationalsozialistische Besatzungsherrschaft braucht.