Die Zukunft der Erinnerung – oder: Wie das kollektive Gedächtnis in Deutschland auszusehen hat.

Benz ist nicht Popper. Klar. Dieser ist ja auch Philosoph und für die Bemerkung bekannt, dass die Zukunft betreffende Vorhersagen schwierig seien, während jener, Historiker, den Anspruch erhebt, die „Zukunft der Erinnerung“ zu kennen. So der Titel der jüngsten Publikation des Emeritus, der einer der Erinnerungsaktivisten der Bundesrepublik war und ist.

Wer über das „deutsche Erbe“ und die „kommende Generation“ zu schreiben vorgibt, weckt die Erwartung, dass nicht nur die historischen Hinterlassenschaften der Deutschen und ihr Umgang mit ihnen beschrieben wird. Ergänzend müssten auch die Kinder und die Kindeskinder analysiert werden. Benz, der Nicht-Soziologe, schenkt sich die Analyse der Kommenden, weil es ihm um sein Erbe geht.

Deutsches Erbe

Nicht weil er glaubt, dass Kinder wie die Eltern sind. Wie könnte er als Historiker, der sich in der Hauptsache mit dem Nationalsozialismus im Allgemeinen und dem Antisemitismus im Speziellen beschäftigt hat? Er weiß, wie schwer sich die Deutschen mit diesem Erben nach dem Zweiten Weltkrieg taten.

Seine Zeit kam in den achtziger Jahren des vergangenen Jahrhunderts als die „Bewältigung“ der Vergangenheit, die nicht vergehen wollte, ins Zentrum der erinnerungspolitischen Debatten trat. 1990 wurde er an die TU Berlin – Zentrum für Antisemitismusforschung – berufen.

Kollektiver Gedächtnisbetrieb

In dieser Position prägte er den „kollektiven Gedächtnisbetrieb“ der Berliner Republik maßgeblich mit: Wie viele der NS-Gedenkstätten und -orte sind von ihm beeinflusst? Zu welchem Mahn- und Denkmale des Nationalsozialismus hat er sich nicht geäußert? Dass auch nicht-jüdische Opfergruppen Eingang in die bundesrepublikanische Erinnerung fanden, ist sein bleibendes Verdienst.

Das Erbe möchte er bewahren, mit der aktuellen Erinnerungskultur einfach fortfahren. Als Folge des Nationalsozialismus darf die DDR-Geschichte, nicht-nostalgisch, die bundesdeutsche Erinnerungskultur ergänzen. Im Gegensatz zur „kolonialen Geschichte“, die wie die DDR-Vergangenheit „nicht symmetrisch“ zur Erinnerung an das Dritte Reich ist: „Das Erinnern an den Hitlerstaat gehört zum Wesenskern der Demokratie.“

Engführung der Erinnerungskultur

Zu der fragwürdigen Aussage versteigt sich der Autor nur, weil Benz‘ Buch – trotz gegenteiliger Feststellung – nichts anderes als die Antwort auf das vor eineinhalb Jahren vorgelegte „Rahmenkonzept Erinnerungskultur“ der letzten Kulturstaatsministerin ist. Mit dem Konzept hatten sie und ihre Ministerialen es gewagt, die Engführung der bundesrepublikanischen Erinnerungskultur auf den Nationalsozialismus infrage zu stellen.

Skandal! Die Vertreter der Verbände eingerichteter und einzurichtender NS- und DDR-Gedenkstätten liefen Sturm, sprachen von Relativierung und Bagatellisierung, und schwiegen zu der insgeheimen Befürchtung, die staatlichen, zum Teil auch stattlichen Zuschüsse mit Repräsentanten und Repräsentationen der Geschichte der Einwanderungsgesellschaft(en), des Rechtsextremismus (NSU) und des Kolonialismus teilen zu müssen.

Breiter, bunter und auch fröhlicher?

Die Zukunft der Erinnerung ist seine Vergangenheit, so die präsentierte Auffassung. Dass das „Erbe aus nationalsozialistischer Zeit“ im Anthropozän nicht mehr im Zentrum der Erinnerung stehen könnte, kommt Benz nicht in den Sinn. Kommende Generationen werden sich – so sie es noch können – vielleicht fragen, wie und warum wir, die Menschen im späten 20./frühen 21. Jahrhundert, ihren Lebensraum vernichtet haben. Sie werden in Naturkundemuseen nachschauen, wie das Leben vor der Klimakatastrophe gewesen ist.

In der Zwischenzeit können sich die Jungen eigene Gedanken über das kollektive Gedächtnis machen. Es wird breiter und bunter sein, auch fröhlicher, ohne die „Urkatastrophe des 20. Jahrhunderts“ und seine Folgen zu vergessen. (cws)